Sympathie-Symmetrie
Beim Bier mit N. Ich bin gelangweilt, aber freundlich. Ich denke darüber nach, warum ich mit N. in einer Kneipe sitze, obwohl ich viel lieber allein wäre. N. sagt, wie schön es ist, dass wir uns so gut verstehen. Ich denke, ich sollte vielleicht Versicherungen verkaufen. Oder Staubsauger. Oder Gesichtscreme.
Ich mag N., eigentlich. Möglicherweise habe ich das Treffen sogar initiiert. Aber ein Gedanke lässt mich nicht mehr los. Wenn meine Freundlichkeit missverstanden wird, wie vielen schmierigen Verkäufern bin ich dann meinerseits auf den Leim gegangen? Oder ist das Sympathie-Schauspiel gar kein Täuschungsversuch, sondern entstammt dem gleichen evolutionären Überrest, der uns selbst den lächelnden TV-Moderator unbewusst angrinsen lässt?
Trotz allem bleibt die Frage bestehen: Wieviel Höflichkeit oder Verkaufstalent steckt tatsächlich in dem, was ich als Sympathie wahrnehme?
Auf dem Weg nach Hause grüble ich darüber nach, wie viele Sympathie-Punkte ich wohl bislang fälschlicherweise auf meine Rechnung geschrieben habe. Als ich mein Fahrrad anschließe, haben die Rechenoperationen bereits ein schales Gefühl hinterlassen. Ich setze mich an meine Nähmaschine und versuche, die unangenehmen Gedanken wegzurattern.
Während das Shirt Formen annimmt, fühle ich mich ein wenig wie Kleist, der in einem bestürzten Brief an seine Braut schrieb:
>>Vor kurzem ward ich mit der neueren sogenannten Kantischen Philosophie bekannt – und Dir muss ich jetzt daraus einen Gedanken mitteilen, indem ich nicht fürchten darf, dass er Dich so tief, so schmerzlich erschüttern wird, als mich. – Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün – und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstande. Wir können nicht entscheiden, ob das was wir Wahrheit nennen, wahrhaftig Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint.<<
Rattatattarattatattarattatattarattatattarattatattarattatatta
Grüne Brille ab, Mann!
Ich stelle mir eine Welt nach Kleists Geschmack vor. Den durchdringenden, unverstellten Blick auf die "wahrhaftige Wahrheit" ermöglicht im Zwischenmenschlichen der vollautomatische Sympath-o-Meter, mit dem wir alle serienmäßig ausgestattet sind. Er zeigt (farblich fein abgestimmt) stets das Niveau des Wohlwollens an, mit dem wir unser jeweiliges Gegenüber betrachten.
Nein, stelle ich fest, während ich fluchend eine Naht wieder auftrenne und an meinen Chef denke, das ist auch keine Option. Da halte ich es doch lieber wie Kant, dem die Kleist’sche grüne Brille völlig schnuppe war, weil er einfach grundsätzlich in Frage stellt, dass eine „wahre“ Wirklichkeit allein durch Erfahrung/rumgucken wahrnehmbar ist. Die Antwort fällt stattdessen einfach entsprechend unserer Frage aus. Ist die Frage gut, ist es die Antwort auch. Allerdings: Kants „apriorische Erkenntnisformen“* auch im Zwischenmenschlichen anzuwenden (in hübscher Analogie zu Pippi Langstrumpf „Ich denk mir die Welt, widdewiddewie ...“), gelingt einem wohl nur als Autist. Auch keine Option.
Das Shirt ist fertig. Ich auch. Während ich mein Werk im Spiegel betrachte, höhnt Nietzsche in meinem Hinterkopf:
>>Was für Fragen hat dieser Wille zur Wahrheit uns schon vorgelegt! Welche wunderlichen schlimmen fragwürdigen Fragen! [...] Wer ist das eigentlich, der uns hier Fragen stellt? Was in uns will eigentlich "zur Wahrheit"? [...] Gesetzt, wir wollen Wahrheit: warum nicht lieber Unwahrheit? Und Ungewissheit? Selbst Unwissenheit?<<
Da schwant es mir: natürlich ist es gar kein Erkenntnisproblem, dass mir zu schaffen macht. Vielleicht sollte ich mich doch etwas mehr an Pippi („... wie sie mir gefällt“) orientieren.
* „Der Verstand schöpft seine Gesetze (a priori) nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor.“ (Prolegomena §36)
8 Kommentare:
Schöner Text. Ich wünschte ich hätte auch ein Sympath-o-Meter. Wie viel einfacher wäre so vieles!
Nohoooo! Sympath-o-Meter ist der Teufel! Immer schön an Nietzsche denken. Alles überaus schlimme fragwürdige Fragen.
ach ach. Wir können ja nicht anders wahrnehmen als wir tun. Und das ab und an gepflegt in Frage stellen. Gesundes Selbstmisstrauen anbringen und schauen wo es hinführt.
:-) aber hallo, klaro geht das! das muss selbst miss empirie zugeben. Im zweifel muss eben einfach ein neues kategorienschema her. alles überaus formbar. aber war ist „gesundes selbstmisstrauen“? das gleiche wie „ungesundes selbstvertrauen“?
:-)))) da jibt et nüscht zu meckern!!! cool! irgendwann kommen wa alle dahinter (mit uns und der welt klar zu kommen). easypeasy!
neuer themenvorschlag zur weihnachtszeit: rentieren vs. RENTIERen.
hahaaa, ist in arbeit!
für die grenzenlose verwendung von "easypeasy" ist ja noch copy-rechtliches abzuklären...
Ich hab irgendwie das Gefühl, das die Philosophen nur herangezogen werden, um ne bürgerliche Welle zu machen. Ich hab nicht das Gefühl, dass es hier um lebensverändernde Erkenntnisse geht. Son bisschen intellektuelles Bauchpinseln, um sich abzulenken. Aber das hat Fräulein U, aus meiner Sicht, gut erkannt. Es geht vielleicht doch schlussendlich nur um Ablenkung.....
aber ja doch - bildungsbürgerlich!! allerdings: wiewiewie - keine lebensverändernden erkenntnisse?! das ist trotz allem eine e-xis-ten-zielle frage! dass die herren k+k da nicht weiterhelfen können, macht ja das problem nicht kleiner. und ATTITUDE (Symmetry Shmymmetry riefen der autist und nietzsche im chor) zu perfektionieren ist im zweifelsfall vielleicht sexy, kann aber durchaus nach hinten losgehen... (ich arbeite dran...:-))
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