Spieglein, Spieglein...
Sie sind Wissenschaftler, haben gerade ein Buch veröffentlicht und wenn Sie nicht schnell ein paar Exemplare verkaufen, müssen Sie wegen des schlecht verhandelten Druckkostenzuschusses in den nächsten Monaten von Studentenfutter leben? Einfach Jean Twenge bei der Arbeit über die Schulter schauen. Die Psychologie-Professorin an der Universität von San Diego zeigt Ihnen, wie Sie schnell und billig wieder Fleisch auf den Teller kriegen. Chakkah!
Man nehme:
Soweit das Rezept. Jetzt schauen wir mal, was Frau Twenge in den Topf geworfen hat:
Fertig ist das Werk!
Fast vergessen: auf keinen Fall Zeit mit Publikationen in der Fachpresse verschwenden. Raus mit der Pressemeldung! Es geht ja schließlich um den Buchverkauf und nicht um den Nobelpreis.
Et voilà, guten Appetit:>>Wenn Jean Twenge, Professorin am Institut für Psychologie der San Diego State University, recht hat, dann ist das Internet in seiner aktuellen Form des "Mitmach-Web" ein einziges großes Experiment an der heutigen Jugend. "Die modernen Technologien sorgen dafür, dass der Narzissmus zunimmt", meint die Psychologin, "MySpace befriedigt schon aus seinem Namen heraus die Sucht nach Aufmerksamkeit. Und YouTube mit seinem Slogan "Sende Dich selbst!" ebenfalls".<< [http://www.heise.de/tr/artikel/90972/from/rss09]
An diesem Gedankengebäude müssen noch dringend ein paar Schrauben angezogen werden.
Aber von vorn: Narziss – Achtung griechische Mythologie – verliebte sich in sein eigenes Spiegelbild, was ihm gar nicht gut bekam. Im Alltagsverständnis ist ein Narziss ein Mensch, der sich sehr auf sich selbst bezieht und dabei andere (Menschen, Natur usw.) vernachlässigt. Narzissmus ist übertriebene Selbstliebe. Eine narzisstische Gesellschaft schätzt stärker Werte des Eigennutzens als die des Gemeinwohls. Soweit, so schlecht.
Ich wende den Blick vom Allgemeinen zum Speziellen und zähle meine Social-Internet-Accounts: Blogger, Flickr, Xing, .... und viel zu viele mehr.
Laufe ich Gefahr, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung zu entwickeln?
Mal schauen, was die Fachleute sagen. Siehe da, es gibt ca. ein Dutzend verschiedene Narzisstische Prototypen, jeder mit anderen Kernkomponenten, die wiederum mit unterschiedlichen Testverfahren und Skalen gemessen werden.
Erkennt sich jemand wieder? (Oder - wir sind ja unter uns - erkennt jemand jemand anderen wieder?!) Und – was hat das alles mit MySpace und Co. zu tun?
Wenig, so viel ist klar. Aber im Verständnis von Narzissmus-Tendenzen, die mit der NPI-Skala (s.o.) gemessen werden, sind vor allem Exhibitionismus, Eitelkeit und Selbstüberschätzung ausschlaggebend. Passt schon besser. Neinnein, rufen die Social-Internet-Apologeten, es geht bei MySpace und Co. doch nicht um MICH, sondern um UNS. Aber ist nicht die Zahl der Freunde die neue Status-Währung und der Blick in den Spiegel, der uns der eigenen Beliebheit versichert?Ist Twenge von der Wahrheit vielleicht gar nicht so weit entfernt, wenn man in diesem Paralleluniversum Freundschaften mit einem Klick beenden kann?
Oder das Gegenteil ist der Fall – die von Twenge ins Visier genommene Generation erklimmt die nächste Evolutionsstufe zu wahrhaft sozialen Wesen: während sie auf irgendeiner Website jedem unbekannten Leser mitteilen, dass sie endlich ihre Schuhe geputzt, gerade ein Omelette verbrannt haben oder am nächsten Morgen unbedingt einen Zahnarzttermin vereinbaren müssen, tasten sie in blind nach den Verbindungskabeln zum Rest der Welt, um sich in Borg-Manier unter ständigem Cyberspace-Geschnatter jederzeit zu versichern, dass Sie am Kollektiv eingestöpselt sind.
Äh, wo war ich? Soweit meine unausgegorenen Gedanken. Möchte jemand helfen?
5 Kommentare:
So. Nummer eins. Ganz Klar!
So, und nun weiter. Meine Faszination Bloggern gegenüber besteht darin, dass ich mich immer frage, was DIESE Menschen veranlasst Alltägliches/Belangloses aus ihrem Leben hier jedem zu erzählen. Na klar, geht jemand in weit entfernte Welten und nutzt - statt "Serien-Rund-Mail-Brief" - ein Blog um zu berichten...ooookay, verstehe ich. Nutzt jemand ein Blog, um Gedanken los zuwerden und in Austausch mit Freunden zu treten, die man sonst nicht so oft "spricht"....ooookay, find ich auch gut (an dieser Stelle sei erneut bemerkt, dass ich die Über-Unterschrift von agent p einsA finde.)Schreibt jedoch jemand "immer mal so aus seinem/ihrem Leben und erscheint/will erscheinen dabei üüüüüberaus witzig oder menschlich (...auch mal über "Schwächen" schreiben...) ....tjaaa, dann weiß ich auch nicht so genau. Narzistisch trifft es dann wohl doch. Zugegeben: interessanterweise müsste man das voyeristische Verhalten gewisser Blogleser genauso untersuchen. Ich wäre dabei wahrscheinlich auch Typ 1: Neigt zu Abhängigkeitsverhalten, da das Blog bis zu X-mal am Tag aufgerufen wird, um die Bloglesesucht zu befriedigen. Was für ein Mensch ist denn das dann bitteschön? Voyeuzistisch?
ääähhhh - nummer eins - ich oder du?! und: welcher blog-typ ist jetzt meiner? "ooookay" oder "tjaaaa"?
aber wie auch immer: schön, wenn sich blog-narzissten und -voyeuristen in einer kuschelig-perfekten symbiose befinden.
--> weiterlesen!
Nummer eins bist Du! Und in meiner Charakterisierung Typ zwei der oooookay-Gruppe. ICH hab keinen blog und bin daher Typ eins der Blogleserkategorie. und jetzt weiter symbiotisieren... ;)
meine güte! hiiiiiilfe! bitte, jemand sage mir, dass ich keine omnipotenzphantasien habe! und noch viel wichtiger: keine versteckten lerndefizite! also bitte!! (sind das zu viele ausrufezeichen?!!!)
aber zurück zum thema: macht es einen unterschied, dass mir der sozialcharakter der sozialen internets ziemlich schnuppe ist? oder macht es das nur noch bedenklicher? oder anders gefragt: wie gefährdet sind eigentlich diejenigen, die jeden tag 3 stunden mit ihren 120 studivz-freunden verbringen? und falls es als bedenklich eingestuft wird: ist es symptom oder ursache?
Ein wenig Narzismus (in welcher Art auch immer, da ich denke, die verschiedenen Ansätze verschwimmen ein wenig ineinander) steckt in jedem von uns und den kann man natürlich im Netz wunderbar ausleben. Man hat kein Gesicht, der Name ist oft gefaked, man muss sich nicht um das Soziale des Gegenübers kümmern, da man ja nicht wirklich jemanden besonderen anspricht...also ist der geschriebene Text nicht manchmal wie ein Spiegel?!
Ich finde es zwar ok, wenn jemand bei einem Urlaub einen Blog benutzt um seine Erfahrungen und Erlebnisse aufzuschreiben, aber eine persönliche Mail ist dann doch angenehmer...man ist dann nicht nur einer von Vielen, sondern wieder der Ausgewählte...
Vielleicht macht das Internet wirklich Narzisten aus uns?!?
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