Die Linienstraße ist fertig

Kommt ganz unscheinbar daher, dieser Satz. Schleicht sich an, entfaltet seine Wucht verspätet. Eine Wucht (jeder Berliner mit ähnlichem Fahrrad-Arbeitsweg wird das nachvollziehen können) vergleichbar mit Aussagen wie „Irak befriedet“ oder „Lafontaine gibt Parteivorsitz auf“.

Jetzt also: Die rettende Parallele zur lebensfeindlichen Torstraße – einst Schlagloch-übersäht – erhielt nach nunmehr 3 Jahren Bauzeit eine perfekte Oberfläche aus dunklem, glatten Asphalt. Darauf in Weiß: die Straßenmarkierung. Ein Fahrrad, aufgebracht in der Mitte der Fahrbahn, was wohl die Besitzansprüche und Platzstreitigkeiten zwischen den Verkehrsteilnehmern abschließend klären soll.

Ich fahre die neue Linienstraße ein erstes Mal: mit Erstaunen. Ein zweites Mal: mit Genuss. Ein drittes Mal: mit Melancholie.

Und wie verleiht man einer melancholischen Stimmung am besten Ausdruck? Jawoll, mit einem Gedicht. In Memoriam:

ode an die linienstrasse

lebensretterin
aller radfahrer zwischen rosi und oranienburger
hast mich stets
vor der torstraße beschützt

doch
hast mich auch getestet
in die falle gelockt
im dunkeln
so einige dellen
verdankt dir mein vorderrad
so einige schrammen
mein kiefer
beim allzu plötzlichen eintauchen
ins tiefe schlagloch

nun ist das bauwerk vollendet
leise surrend gleite ich
über die faltenfreie oberfläche
aus schwarzem asphalt
betrübt

hast deine seele verloren
der perfektion geopfert

da bleibt
nur ein trost: in berlin ist nichts von dauer

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

na endlich... nach 6 monaten mal wieder ein lebenszeichen!!! ein wichtiger meilenstein in deinem leben scheint erreicht ;)

FräuleinU hat gesagt…

muahahahaha jawoll: endlich nichts besseres zu tun!

oder aber kräftig am prokrastinieren. suchs dir aus, große internationale unternehmensberatung - der wirklich, also WIRKLICH dreimal nachdenken sollte, bevor er sich darüber mokiert, dass es hier nicht häufiger frische gedanken zu lesen gibt... :-)

Anonym hat gesagt…

Alter, iche jetzt auch. Fahr ähnlichen Weg. Mitte ist generell lebensfeindlich. Selbstmördern auch zu empfehlen: Invalidenstraße, Chausseestraße, Friedrichstraße. Jede Fahrradstraße macht mich ebenso traurig, weil sie zeigt wie schön es sein könnte, wenn alle Berlinbewohner (ich vermeide bewusst Berliner zu sagen) wie die armen Chinesen früher Rad fahren würden. AJ

FräuleinU hat gesagt…

großergottja, die chausseestr. ist ganz weit oben in meiner angst-liste. da gibts sogar straßenbahnschienen! aber radeln wie die chinesen? ich weiß nicht... so eine fahrradstraße verführt zu ziemlich undiszipliniertem rumwedeln. aber konsultieren wir doch die statistik:
>>Häufigster Unfallgegner bei Fahrradunfällen mit einem weiteren Verkehrsteilnehmer war zu 65,5 Prozent ein Pkw. Bei 7,9 Prozent war ein Fußgänger, bei 7,2 Prozent ein Güterkraftfahrzeug und bei 5,0 Prozent ein weiterer Radfahrer der Unfallgegner.<<

was für die chinesen oder die fahrradstraßen spricht.

sehr bedenklich allerdings: >>Von den insgesamt 4 124 Fahrradunfällen waren 10,3 Prozent Alleinunfälle (ohne Beteiligung eines weiteren Verkehrsteilnehmers) mit vier Todesfällen.<< yes, straßenbahnschinen, i'm looking at YOU!